Last Updated on 26. Oktober 2020 by Jonas
Was wirkt konkret zwischen Klient und Psychotherapeut
In meinem therapeutischen Alltag habe ich es mit Menschen zu tun, die aus einem „gesunden“ Impuls heraus zu mir kommen.
Sie leiden zwar, doch dieses Leiden ist Ausdruck ihres Empfindens von Desintegration, von Blockierung ihrer(s) (S)selbst, ihres „natürlichen“ Selbstausdrucks. Sie verspüren ein Streben nach einem in sich stimmigen DaSein im Kontakt mit der Welt. –
Mein Handeln ist dementsprechend darauf ausgerichtet, mit Ihnen, in einem dialogischen Miteinander, ein ganzheitlich stimmiges Selbstverständnis im Denken, Fühlen und Handeln zu entwickeln.
Klienten kommen in Psychotherapie mit einem eingeengten Selbstverständnis. Einem Selbstverständnis, aus dem heraus sie sich nicht in der Lage sehen, in ihrem beruflichen und privaten Alltag gut für sich sorgen zu können. Sie glauben, es fehlt ihnen an bestimmten Fähigkeiten und/oder dem Wissen die nötigen Fähigkeiten für sich zu nutzen. Zum Glück trifft dies meist nicht zu.
Es sind oft eben nicht Defizite einer Person. Oder vermeintlich unveränderliche Lebensbedingungen, die im Alltag zu unbefriedigenden Anpassungen an das soziale Umfeld führen. Es sind hingegen schon früh in der Kindheit gelernte, durch Wiederholung emotional verankerte Verhaltensmuster. Erlebens- und Verhaltensmuster, die uns als Kind das persönliche Überleben in beängstigenden Lebensumständen ermöglicht haben. Mit denen wir uns jedoch als erwachsene Person nicht mehr gerecht werden können.
Mein Handeln als Psychotherapeut ist deshalb auf eine Erweiterung der Selbstwahrnehmung des Klienten ausgerichtet. Indem der Klient sich im Denken, Fühlen und Handeln umfassender wahrnehmen kann, verändert sich zwangsläufig sein Selbsterleben und sein Selbstbild. Und damit auch seine Möglichkeiten sich im Kontakt mit bedeutsamen Anderen gerecht werden zu können.
Der Psychotherapeut
muß auf dem Hintergrund eines solchen „Behandlungsverständnisses“ dem Klienten nichts geben, was dieser nicht schon hat.
Er braucht ihn lediglich – auf dem Hintergrund seiner konkreten Beziehungserfahrungen mit ihm – in der therapeutischen Situation in sorgsam konfrontierender Weise damit „bekannt machen“, daß er weit mehr an persönlichen Fähigkeiten mitbringt, als er bislang in sich selbst wahrgenommen hat.
Daß dies in „konfrontierender“ Weise geschieht, geschehen muß, liegt nicht allein an dem Umstand, daß der Klient schon mit einem fixiert eingeschränkten Selbstbild kommt, sondern auch daran, daß dieses eingeschränkte Selbstgewahrsein Teil der bisherigen Konfliktbewältigung ist:
wir verdrängen, unterdrücken, leugnen (auch gegenüber dem Therapeuten!) ja gerade die Aspekte unseres Seins, die wir in Auseinandersetzung mit einem früheren sozialen Umfeld, als höchst konflikthaft, sprich beeindruckend beängstigend erfahren haben.
Jegliche zwischenmenschliche Konfrontation mit Aspekten unseres Seins, die dazu geeignet ist, die frühen Beängstigungen wieder „zum Leben zu erwecken“, erfährt daher „unbewußte Abwehr“. Konfrontieren meint insofern stets ein achtsames, kontinuierliches „Hinweisen“ und gemeinsames Prüfen, ob das, was vom Therapeuten angesprochen ist, in diesen Momenten tatsächlich Teil der Wirklichkeit des Klienten ist (oder nur Einbildung des Psychotherapeuten). –
Denn mit was konfrontiert der Psychotherapeut?
Während einer psychotherapeutischen Begegnung lernen sich der Psychotherapeut und der Klient gegenseitig kennen. Im Verlauf dieses Kennenlernens erfährt der Psychotherapeut den Klienten umfassend auf zweierlei Ebenen:
in seinem aktuellen Denken, Erleben und Handeln in der gemeinsamen aktuellen Situation,
als auch über die Selbstbeschreibungen des Klienten, wenn er über seine Schwierigkeiten in seinem täglichen Leben spricht.
Das was der Klient von sich berichtet deckt sich zum Glück niemals ganz mit der Art und Weise, wie der Psychotherapeut ihn im aktuellen Kontakt wahrnimmt.
Der Psychotherapeut „konfrontiert“ den Klienten daher mit Aspekten seiner Person, die der Klient nicht an sich wahrnimmt während er über seine Probleme in seinem Alltag spricht.
Diese Differenz zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung eröffnet ein Spannungsfeld.
Es geht z.B. um die Rückmeldung von Ansprüchen an sich selbst und der gleichzeitigen Vermeidung von Verantwortung zu deren Erlangung.
Es geht um Rückmeldungen in Bezug auf vorhandene Fähigkeiten, die der Klient, vom Psychotherapeuten so gesehen zwar hat, die er jedoch unbeachtet lässt. Sich selbst gar konsequent abspricht.
So sprechen manche Menschen davon, „zu dumm“, „zu unattraktiv“, „zu schwach“ zu sein.
Zuschreibungen, die dem aktuellen Eindruck des Psychotherapeuten widersprechen.
Selbstwahrnehmung erweitert sich in einem dialogischen Geschehen somit auch darüber, daß eine Person ihr Selbstbild an dem zur Verfügung gestellten Fremdbild überprüfen kann und muß. Und meist kann in diesem Erkundungsprozeß auch bewußt werden, daß die „freiwillige Selbstbescheidung“ einen „guten“ Zweck erfüllt: den Zweck der Angstbewältigung. –
So ist der Psychotherapeut stets auch Begleiter in der angstvollen Wahrnehmung und Erkundung bislang vermiedener Selbsterfahrungen im sozialen Umfeld.
Zusammenfassend gesagt,
wird in der Regel offenbar, daß eine erstrebte Veränderung ein beängstigendes Risiko in sich birgt und ein Selbstboykott dieses Risiko zum Verschwinden bringt. Allerdings, mit dem Resultat, daß der Status quo erhalten bleibt.
Doch der Status quo ist gleichzeitig der Anlass für den (leidvoll erfahrenen) Wunsch nach Veränderung. – ein Dilemma!
Ausgehend von dem organismisch begründeten Streben eines Menschen sich selbst zu verwirklichen, muß ich den vor mir sitzenden Menschen somit in seinem schon vorhandenen Wunsch zu konkreter Veränderung seiner Lebenswirklichkeit ernst nehmen und mit ihm untersuchen, wie es kommt, daß er diesem konkreten Tun ausweicht, kurz: daß er nicht tut, was er tun will und welchen Sinn das macht. –
Dies mündet in die Realisierung des gerade beschriebenen angstvoll erlebten Dilemma im Klienten.
Zum Erleben einer existenziellen Grenzerfahrung, in der der Klient entweder in Anpassung an die soziale Welt weiterhin ausweicht. Oder, der er sich im Tun handelnd stellt und daran wächst. –
Indem ich dem Menschen in diesem Erkundungs- und Veränderungsprozess die Verantwortung für sein Tun und Nichttun überlasse, „schreibe ich ihn Gesund“. Soll heißen, ich handle ihm gegenüber so er selbst alles habe, was er braucht, um einen angemesseneren Kompromiss mit der Welt „auszuhandeln“.
Ich muß ihn nicht behandeln, doch ich muß gemeinsam mit ihm erkunden, was er in sich mobilisieren muß, um den Mut aufbringen zu können, dies auch zu tun oder, nicht zuletzt, so er sich aktiv dafür entscheidet, dennoch nicht tut.