Last Updated on 2. Dezember 2020 by Jonas
Der Schlaf des Psychotherapeuten
…. resultiert aus „Einschläferung“. –
Es ist kein Schlaf, der aus Übermüdung resultiert. Der Schlaf des Psychotherapeuten ist hingegen Ergebnis eines Übertragungsprozesses. Der Psychotherapeut nimmt „Anteil“ an der Verdrängungsleistung seines Klienten. – Verdrängt werden thematisch bedeutsame emotionale Reaktionen.
Die oft „bleiern lähmend“ wirkende Müdigkeit, die der Psychotherapeut im Kontakt mit dem Klienten zu verspüren beginnt, ist daher eine diagnostisch relevante Selbstwahrnehmung des Therapeuten.
Therapeutisch wirksam wird diese Art der Gegenübertragung jedoch nur, wenn es dem Therapeuten (frühzeitig) gelingt, seine innere Resonanz dem Klienten mitzuteilen, um diesen daraufhin in seiner Selbstexploration anzuleiten. – Ansonsten … schläft er, bewußtlos ob der Hintergründe, ein.
Die Reaktion des Psychotherapeuten auf die ersten Anzeichen beginnender Müdigkeit ist jedoch oft der Versuch, diese, auf den Klienten despektierlich wirkende Reaktion, zu überwinden. Er kämpft spontan gegen die zunehmende Müdigkeit an. Doch selbst wenn ihm dies gelingt, er kann nicht davon ausgehen, daß der Klient die „Schläfrigkeit“ des Therapeuten (noch) nicht bemerkt hat. –
Ich stelle immer wieder erstaunt fest, daß der Klient meine „Müdigkeit“ fast zeitgleich (wenn nicht früher) bemerkt, wie ich selbst; –
ich erachte es daher als unerläßlich, den Klienten zu allererst darauf hinzuweisen, daß der Therapeut weder gelangweilt (Langeweile als Übertragungsphänomen resultiert aus einem anderen Beziehungsgeschehen) noch körperlich müde ist. Sodaß der Klient sich für die Hintergründe der offen ersichtlichen Schläfrigkeit des Psychotherapeuten interessieren will und kann. –
Anstatt diese als subtil kränkende Mißachtung seiner Anliegen, oder gar seiner Person erleben zu müssen.
Um sich im Weiteren dafür interessieren zu können, was den Psychotherapeuten im Kontakt mit dem Klienten „einschläfert“, braucht der Klient konkrete Anleitung:
Er muß seine Aufmerksamkeit gezielt auf sein aktuelles inneres Erleben fokussieren.
Klienten berichten in Hinwendung auf ihre innere Welt gerne von ihren Gedanken und ihren kognitiven Schlußfolgerungen. Konsequenterweise braucht es vom Therapeuten unterscheidende Hinweise. – Hinweise darauf, sich in erster Linie auf innneres ERLEBEN, auf „propriozeptive“ Wahrnehmungen, weniger auf Gedanken und schlußfolgernde Erklärungen, zu konzentrieren.
Klienten können dann, im Verlauf ihrer angeleiteten Selbstexploration feststellen, daß sie tatsächlich, im Hintergrund ihres bewußten Erlebens, energetische Erregungen, Körperempfindungen, motorische Impulse, emotionale Impulse wahrnehmen. Inneres Erleben, das ihnen bislang verborgen geblieben waren.
Mit der Ermunterung, dieser beginnenden Erweiterung ihrer Selbstwahrnehmung weiterhin Aufmerksamkeit zu schenken, entdecken Klienten zunehmend prägnanter inneres „Bewegtsein“.
Dies sind Entdeckungen, die dem Klienten, wie dem Therapeuten erklärlich machen, daß zwischen dem energetischen „Betrag“ der initialen Ermüdung des Therapeuten (die schlagartig verschwunden ist, sobald der Klient sich für seine Selbstexploration interessieren kann!), und dem energetischen Betrag der unbewußt abgewehrten Impulse, ein Zusammenhang besteht.
Je energiegeladener das ins Unbewußte verdrängte Erleben (Affekte, wie Verzweiflung, Angst, Trauer, Wut), umso bleierner die Müdigkeit des Therapeuten.
Mit dem Auftauchen von Bewußtheit, der beginnenden Identifikation mit abgespaltenen Emotionen, bemerken Klienten darüber hinaus, daß sie sich selbst, ähnlich wie der Therapeut, erschöpft, müde oder emotional gelähmt fühl(t)en.
Und sie entdecken, daß die ins Bewußtsein gelangenden Erlebnisinhalte einen gewichtigen Beitrag für ihre aktuell zu bearbeitende Thematik haben.
Auf diese Weise wird der „Schlaf des Therapeuten“, bzw. die offene dialogische Erkundung des Phänomens, zu einer fruchtbaren therapeutischen „Intervention“.