Last Updated on 13. Dezember 2020 by
Grundsätzliche Überlegungen
Eines der geläufigsten Vorurteile bezüglich Psychotherapie liegt in der Aussage, „Psychotherapie sei etwas für Leute, die nicht mehr richtig im Kopf sind„. –
Wenn man mit sich und seiner Umwelt nicht mehr zurechtkommt und Hilfe bei einem Psychotherapeuten sucht, läuft man somit Gefahr, gesellschaftlich entwertet und beschämt zu werden.
Unsere Gesellschaft verlangt „stabile“ Individualisten. Personen, die bereit sind, sich durch Leistung und Konkurrenzwillen gegen Mitbewerber in ihrer gesellschaftlichen Position zu behaupten.
Dieses Ideal prägt nachhaltig unsere zwischenmenschlichen Begegnungen. Es verführt dazu, persönliche Realitäten zu verleugnen und statt dessen ein starres Rollenverhalten zu praktizieren.
Insofern ist die individuelle Verleugnung persönlicher Realität auch Ausdruck gesellschaftlicher Verleugnungsmechanismen. – Wir alle tun gut daran, „so zu tun als ob“, … wir immer sicher und stark wären, als ob es uns (seelisch!) stets gut ginge! – Dies gilt in privatem Umfeld, im politischen und wirtschaftlichen Leben.
So tun, als ob wir immer obenauf wären und, dem Trend der Zeit entsprechend, uns dies etwa durch positives Denken beständig selbst zu suggerieren, kann allerdings keine inneren Konflikte lösen.
Positives Denken kann uns geistig-seelisch (und das ist ausreichend!) an potentiell vorhandene positive Lebensenergien und Fähigkeiten erinnern. Für deren ungeteilten Erhalt haben wir darüber hinaus aber auch zu lernen, persönliche Zwiespälte als innere Realitäten ernst nehmen zu können , um sie dauerhaft überwinden zu lernen.
Erst dann, wenn ich persönliche Verunsicherung vor mir selbst und Anderen ernst nehmen kann,
wenn ich gelten lassen kann,
was ist,
wird es mir möglich,
mich meiner inneren Realität umfassend
zu vergewissern, –
wird es möglich, mir gewahr zu werden, was ich habe, was ich will und …was mich von meinem Wollen (noch) trennt.
Die Selbstgewißheit, die aus diesem Wissen erwächst, macht es zuweilen sogar möglich, erforderliche Entwicklungsschritte mit Neugierde für noch unbekannte persönliche Möglichkeiten anzustreben, da ich nicht mehr unter dem einengenden Ideal einer allzeit selbstsicheren, stabilen Persönlichkeit leide(n muß).
Stattdessen gilt das Ideal einer sich stimmig wandelnden Persönlichkeit gemäß den Erfordernissen sich verändernder persönlicher, sozialer, ökonomischer, ökologischer und politischer Realitäten.
Ziele von Psychotherapie
Psychotherapie machen heißt insofern, sich auf Entdeckungen einlassen, die gleich einer abenteuerlichen Reise faszinieren und ängstigen können.
Es sind Entdeckungen einer eigenen Art:
sie betreffen die eigene Natur, das eigene Selbstbild, und sie sind eine Bereicherung, wenn man willens ist alte Sicherheiten aufzugeben, um wieder in Bewegung zu kommen.
Persönliche Veränderung umfaßt dabei alle Ebenen des Erlebens. – Wenn man aus stagnativem Erleben oder aus einem inneren Konflikt heraus anfängt mit sich eins zu werden, stimmen Denken, Fühlen und Handeln in einem belebenden Sinne neu überein.
Erste Schritte in eine Psychologische Praxis
Menschen, die in sich zerstritten sind, haben oft eine lange Zeit vergeblicher Anstrengungen hinter sich.
Da sie oft nicht (mehr) wissen, was sie wirklich brauchen, leben sie in einseitiger Anpassung an Lebenspartner, Eltern, Vorgesetzte, Nachbarn, etc. und/oder suchen sich Erleichterung in Ersatzbefriedigungen.
Insofern ist psychisches „Kranksein“ sowohl ein Problem chronischer Selbstentfremdung, als auch ein Problem effizienter innerer Blockierungen. Jeder Mensch (fast jeder) entwickelt ein beträchtliches Beharrungsvermögen, das einer (Selbst)Veränderung entgegensteht.
Veränderung ist synonym mit Neuem, Unbekanntem und Unbekanntes verunsichert, ängstigt.
So ist es erklärlich, daß zuerst einmal viel Kraft in das Aushalten subjektiv unangemessener Lebensumstände investiert wird, bevor das Wagnis persönlichen Wandels eingegangen werden kann.
Psychotherapie ist ein in der Zeit andauernder Prozeß.
Wandel geschieht in schrittweiser Neugestaltung problematisch empfundener Erlebens- und Verhaltensweisen. Der Psychotherapeut unterstützt den Klienten in diesem Prozeß sinnvollerweise in begleitendem Miteinander, wobei der Klient Tempo und Richtung vorgibt, gemäß seinem subjektiv empfundenen Maß an persönlich Zumutbarem.
Unabhängig von der praktizierten Therapiemethode ist eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung der Raum, in dem es dem Klienten möglich werden soll, sich selbst zu entdecken und neue Wege auszuprobieren.
Ein erster Schritt diesen Raum zu gestalten, liegt von Seiten der Klientin, des Klienten in der Auswahl des Psychotherapeuten.
Ich möchte daher auf das konkrete Geschehen im Beginn einer Psychotherapie näher eingehen:
Angenommen, Sie haben über Empfehlungen oder über das Branchenbuch telefonisch Kontakt zu einem psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten (verwechseln Sie diese heilberufliche Tätigkeit nicht mit der Tätigkeit eines Psychiaters!) aufgenommen und baten um einen Termin für ein Erstgespräch:
Sie werden auf einen Menschen treffen, der aufgrund seiner Ausbildung ein spezifisches Wissen über das Seelenleben und über Veränderungsprozesse seiner Mitmenschen hat.
Es begegnet Ihnen aber auch ein Mensch, der sich in seiner ihm eigenen, persönlichen Art dafür interessiert, was sie zu ihm bringt. An dieser Stelle kommen manche KlientInnen ins Stolpern. Sie glauben, schon klar definieren zu müssen, was ihnen fehlt. – Oft kann man jedoch gar nicht mehr wissen, was genau die Probleme sind und was die konkreten Ziele einer Psychotherapie sein können. Es ist so viel, was es zu erzählen gebe und alles scheint irgendwie wichtig und miteinander verwoben zu sein. – In dieser Situation geht es oft es erst einmal nur darum, sich Zeit zu nehmen für das Bedürfnis „erzählen zu wollen und Gehör finden zu wollen“.
Je nachdem inwieweit Sie sich in diesem ersten Kontakt und evt. weiteren vier, fünf Gesprächen verstanden und unterstützt fühlen, kann sich eine fruchtbare therapeutische Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem zukünftigen Psychotherapeuten entwickeln.
Sollten Sie das Gegenteil erfahren, erlauben Sie sich am Besten den Gang zu einem weiteren Psychotherapeuten, denn wie schon gesagt:
Psychotherapie findet in zwischenmenschlicher Begegnung statt.
Was hilft konkret?
Ich habe weiter oben erwähnt, daß viele KlientInnen es als hilfreich erleben, daß da jemand ist, der aufmerksam zuhört und sie auch in ihren vermeintlichen Schwächen ernst nimmt.
Es braucht tatsächlich oft nicht mehr, damit sich ein Klient um sich selbst kümmern kann. Durch das Erzählen seiner Schwierigkeiten ergeben sich Zusammenhänge, die für den Betreffenden zuvor so nicht wahrnehmbar waren. –
Man versichert sich seiner persönlichen Realität, wird vollständiger und fängt dadurch an, sich selbst zu vertrauen.
Selbstvertrauen ist ein Ziel, das viele Menschen anstreben.
Sie meinen damit ein Vertrauen, daß ihnen Verhalten ermöglicht, vor dem sie heute noch zurückschrecken.
Dies ist ein universelles Ziel von Psychotherapie. – Doch Selbstvertrauen entsteht nicht erst, wenn man sich stark fühlt.
„Es entsteht schon dann, wenn man aufhört, sich etwas vorzumachen, wenn man zu dem wird, was man ist, auch wenn es sich unangenehm anfühlt.“
Am Anfang einer Psychotherapie haben die meisten Menschen aufgrund ihres mangelnden Selbstvertrauens den Eindruck, aus sich heraus nichts machen zu können, was ihre Situation verbessert.
Sie hegen die Hoffnung, der Psychotherapeut könnte durch eine gute Tat und/oder einen guten Rat bewirken, was vorher nicht möglich schien. – Manchmal ist ein Ratschlag auch tatsächlich Anstoß genug, um die Dinge wieder klarer zu sehen.
Sollte der Ratsuchende aber dennoch nicht in der Lage sein, zu tun, was er für sich als richtig erachtet, geht es weiterhin um die Frage, wie er sich selbst behindert, bzw. in seinem Tun blockiert.
Nicht ein Defizit in der persönlichen Grundausstattung ist meist der Grund für seelische Stagnation, sondern der Nichtgebrauch persönlicher Fähigkeiten aus Angst vor den Folgen.
Wäre es anders, wäre Psychotherapie in der beschriebenen Form unangebracht, da es dann darum ginge, jemandem etwas zu geben, was er nicht hat (das wäre u.a. evt. Ziel und Aufgabe einer therapeutischen Lebensgemeinschaft, oder politischer Arbeit!) oder ihn mit dem unabänderlichen Defizit auszusöhnen.
In der Regel entdeckt der Klient also mit psychotherapeutischer Unterstützung, daß er sich selbst im Wege steht, bei dem Versuch, seine schon vorhandenen gesunden Impulse und Fähigkeiten im Sinne seiner Bedürfnisse zu nutzen.
Obwohl mit dieser Entdeckung noch keines seiner Probleme in der Sache gelöst ist, empfindet der Klient dadurch aber meist schon Erleichterung.
Er ist quasi von der Illusion befreit, Opfer seiner Lebensumstände oder seines Schicksals zu sein. – Er fühlt sich nicht mehr allein darauf angewiesen, daß Andere sich ändern müssen, damit es ihm selbst besser geht.
Doch zu der Erleichterung, gesellt sich auch das unangenehme Erleben in einem Dilemma zu stecken:
Ihm sind nun zwar seine konkreten Bedürfnisse bewußt und er weiß um seine potentiellen Möglichkeiten befriedigend zu handeln. –
Die psychotherapeutische Arbeit bringt aber auch seine Ängste und Katastrophenphantasien in den Vordergrund, mit denen er sich hindert, seinen gesunden Impulsen entsprechend zu handeln.
Solange sich der Klient dieses Dilemma bewußt bleibt, ist es für ihn eine ausweglose Situation, die fast der gleicht, die ihn in Psychotherapie geführt hat. Er fühlt sich außerstande etwas zu ändern.
Der Unterschied besteht, wie oben erwähnt, lediglich darin, daß er sich nun nicht mehr als Opfer anderer erlebt, sondern als Opfer seiner selbst.
Auch in dieser Situation hofft der Klient meist wieder auf einen guten Rat, auf eine inhaltliche Lösung seines inneren Gespaltenseins.
Doch aus gestalttherapeutischer Sicht gibt es an dieser Stelle im Veränderungsprozeß keine inhaltlichen Lösungen.
Der Widerstreit ist nicht einfach aufzulösen, indem man den Blockaden in sich durch vernünftige Argumente beizukommen sucht, oder sie schlicht ignoriert:
im Gegenteil, sobald dies gelingt sind die Befürchtungen und Ängste zwar nicht mehr spürbar, sie wirken aber weiterhin aus dem Hintergrund.
Sobald dem Klienten diese Einsicht durch eigene, in der Psychotherapie geförderte Erfahrung mit allen Konsequenzen zur Gewißheit wird, kann dies zu einer wichtigen neuen Entscheidung führen:
dazu, „den Versuch aufzugeben, die gefürchteten Konsequenzen seines Tuns kontrollieren zu wollen und dazu, sich seinem inneren Verlangen nach Veränderung der Situation zu überlassen.“
Es ist wie im Schwimmbad vom Turm zu springen: nachdem man zuvor einige Zeit seine Angst durch die Überlegung, wieder hinunter zusteigen, durch hin und her gehen, sich Vortasten, zu bewältigen suchte, kommt irgendwann der Punkt, an dem man sich entscheidet, tatsächlich (für heute) wieder hinunterzuklettern oder aber trotz aller Bedenken zu springen. Man geht nach vorne und wird evt. seltsam ruhig; – und nun konzentriert man sich auf einen inneren Punkt und dann … …. der Sprung!
In diesem Moment verändert man sich auf eine UNWIEDERBRINGLICHE Art, der Sprung ist nicht aufzuhalten, man ist gerade deshalb nicht mehr innerlich gespalten, man ist mit sich eins.
Diese Erfahrung verändert, denn es existiert nun ein Wissen, das zuvor nicht vorhanden war. Diese Erfahrung bedeutet (leider) dennoch nicht, daß man das nächste Mal völlig angstfrei ist.
Persönliche Veränderung geschieht Schritt für Schritt, so auch an diesem Punkt.
Aber mit jedem weiteren „Sprung“ trägt der Klient das Wissen vom vorhergehenden in sich.
Auf psychische Konflikte übertragen heißt dies, daß der Klient sich vielleicht das erste Mal in seinem Leben in sozialen Situationen so verhält, wie es seinen Bedürfnissen entspricht: daß er z.B. klar und unabweisbar „nein“ sagt, in Situationen, in denen er zuvor geschwiegen oder sich gar zu einem vernehmlichen „ja“ durchgerungen hätte.
Im Verlauf einer Psychotherapie finden solche Veränderungen manchmal unter heftigen emotionalen Wehen innerhalb der Sitzungen statt, oft aber fast unmerklich im alltäglichen Umfeld, wobei die Klienten dann etwa erstaunt berichten, wie unerwartet und fast selbstverständlich sie sich auf eine völlig neue Art verhalten haben.
In dem Maße wie jemand seine konflikthaft erlebten Bedürfnisse in der therapeutischen Beziehung erkundet und er schrittweise seine Fähigkeit entdeckt, im Denken, Fühlen und Handeln bisher ungelebten vitalen Impulsen folgen zu können – nicht wie befürchtet zu seinem Schaden, sondern mit wachsender Sicherheit in die Stimmigkeit seines Tuns –
entsteht das erwähnte Selbstvertrauen, daß jeder von uns anstrebt.
Übrigens:
die größtmögliche Sicherheit, die wir im Leben erlangen, liegt in dem (wachsenden) Selbstvertrauen, sich auch in Unsicherheit begeben zu können.
Zuletzt geändert am 22.11.2020